"Was mir in meinem Sozialpraktikum zu denken gab..."
Christoph K., Diözese Feldkirch:
Ich war nun 5 Wochen als Praktikant in einem Altersheim und konnte mir einen Überblick verschaffen, wie es in solchen Einrichtungen ist. Besonders geprägt hat mich die Erkenntnis, wie abhängig die Menschen im Alter von anderen Mitmenschen werden. Ohne die Hilfe der Pfleger könnten sie nicht überleben. Das hat mich sehr berührt und dankbar gemacht, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der man sich um Hilfsbedürftige kümmert.
Gott hat uns Menschen unvollkommen erschaffen. Keiner kann alles alleine machen, auch wenn man das in seiner Jugend vielleicht noch eher glaubt als im Alter. Wir sind aufeinander angewiesen. Wir müssen unsere Unvollkommenheit gegenseitig ausgleichen, und da kommt es darauf an, für andere Menschen da zu sein. Egoismus hat da keinen Platz.
Ein weiteres Erlebnis, das ich sicher nie vergessen werde, war zu sehen, wie schnell der Verfall gehen kann. In meiner ersten Woche zog eine neue Bewohnerin ein. Am Anfang fragte ich mich, warum sie denn hier sei. Körperlich war sie noch fit und auch geistig schien sie klar zu sein. Am Nachmittag saß sie am Tisch und strickte, am Morgen strich sie sich alleine ihr Brot und das Bett machte sie auch alleine. In den nächsten Wochen verschlechterte es sich zusehend, bis sie alle diese Tätigkeiten nicht mehr machen konnte. Arbeiten, die sie ihr Leben lang gemacht hat, konnte sie nicht mehr ausführen. Das ging mir sehr nahe, besonders weil meine Mutter auch leidenschaftlich gerne strickt. Da musste ich dann daran denken, wie es sein würde, wenn sie das auch nicht mehr machen könnte.
Eine wirklich schöne Erfahrung war zu sehen, wie Menschen aufblühen können. Eine Bewohnerin saß, wenn sie nicht im Bett lag, den ganzen Tag im Rollstuhl und brabbelte irgendwelche Wörter vor sich her. Die Pfleger haben mir dann gesagt, dass sie früher in einem Chor gesungen habe, und so sang ich mit ihr. Da strahlte sie und sang mit. Alle Lieder, die ich anstimmte, kannte sie und sang begeistert mit. Es war wirklich ergreifend zu sehen, wie es ihr gefiel und was für eine Freude sie dabei hatte. Oft reichen Kleinigkeiten aus, um Menschen glücklich zu machen, das habe ich da auch wieder erfahren dürfen.
Andreas T., Erzdiözese Salzburg:
Im Rahmen des Propädeutikums ist die Absolvierung eines Sozialpraktikums vorgesehen. Ich hatte die Möglichkeit, diese Vorgabe in einem Altersheim zu erfüllen. Ziel des Sozialpraktikums ist es nicht, sich weitreichende pflegerische Kompetenzen anzueignen. Vielmehr steht der Dienst am Nächsten im Mittelpunkt – gemäß dem Motto: „Im Geist Jesu dienen“.
Es ist oftmals leicht, über Not und Krankheit zu sprechen und deren Linderung zu erhoffen. Konkret, d.h. selber aktiv zu handeln und Menschen zu pflegen, eröffnet eine neue Dimension. Es ist nicht einfach, jemanden pflegen zu müssen. Dieser Dienst erfordert nebst einer stabilen Psyche auch eine gesunde Physis, da die Arbeit mit teils erheblichen körperlichen Anstrengungen verbunden ist. So steht diese Tätigkeit immer in einem ambivalenten Verhältnis von Empathie und Eigenschutz. Beides muss ausgewogen sein, um die Arbeit als Dienst am Mitmenschen auch längerfristig verrichten zu können. Christus im Nächsten zu erkennen und zu handeln – darin können wir Mutter Teresa als großes Vorbild nehmen.
Durch meine Arbeit im Altersheim durfte ich für kurze Zeit erfahren, was es heißt, konkret Menschen in Not zu helfen. Ich zolle jedem Menschen, der in der Pflege, in Krankenhäusern und anderen Sozialeinrichtungen tätig ist, meinen Respekt und wünsche allen Menschen viel Kraft und Gottes Segen für ihren Einsatz am Mitmenschen.
Franziskus Sch., Diözese Linz:
Gut kann ich mich an folgende Szene erinnern: Das Mittagessen war gerade vorüber. Zwei oder drei Bewohner waren noch mit dem Essen des Mittagsmenüs beschäftigt. Ich räumte gerade die Tische ab. Da merkte ich, dass eine Bewohnerin, die schwer dement ist, mit dem Essen nicht mehr zurechtkam. Bewohner werden angehalten, solange sie noch ein bisschen selber essen können, dies zu tun, weil es die motorischen und geistigen Fähigkeiten unterstützt. Schaffen sie es selber nicht mehr, wird Ihnen bei der Nahrungsaufnahme geholfen. Ich fragte die Bewohnerin, ob ich ihr helfen solle. Anstatt einer Bejahung folgte die Gegenfrage „Was hat das alles für einen Sinn?“, und sie begann herzzerreißend zu weinen. Ich hatte den Eindruck, in diesem geistig wacheren Moment erkannte sie, wie körperlich und geistig beeinträchtigt sie war, und dass sie in ihrer Angewiesenheit auf die Hilfe anderer menschlich gesehen in einer aussichtslosen Lage steckte. Nachdem ich ihr erklärt hatte, dass es wichtig sei etwas zu essen und zu trinken, damit sie bei Kräften bleibe und Körperreserven habe, was gerade im Alter sehr wichtig sei, begann ich, ihr das Essen einzugeben. Kurz darauf stellte sie mir wieder die gleiche Frage: „Was hat das für einen Sinn?“ Darauf wusste ich momentan keine Antwort. …- „Versuchen Sie, Ihre Situation anzunehmen“, sagte ich. „Ich hab mir nichts zuschulden kommen lassen. Ein so schlechter Mensch war ich nicht“, erwiderte sie. Ich redete ihr gut zu und machte ihr Mut. U.a. sagte ich zu ihr: „…Gott liebt sie trotzdem.- Jesus ist auch hilflos am Kreuz gestoben. Er hat es nicht verdient, aber er hat es für uns getan.“ Eine Zeit lang saß ich bei ihr. Tränen kullerten über ihre Wangen. Schließlich versuchte ich sie abzulenken, auf andere Gedanken zu bringen, etwas Humorvolles zu sagen. Ich hatte das Gefühl, etwas sehr Wertvolles getan zu haben.
Johannes L., Erzdiözese Salzburg:
Donnerstag Früh, 04:00 Uhr. Die letzten Nachtschwärmer ziehen durch die Linzer Straßen. Die Dunkelheit hat die Gebäude der Altstadt noch fest im Griff. Sr. Tarcisia Valtingoier betritt das Vinzenzstüberl in der Linzer Herrengasse. Höchstens fünf Stunden hat sie geschlafen. Ihr Ziel sind die Waschmaschinen im Keller, die sie mit den Kleidern der Klienten befüllen will. Dann geht es in die Kapelle: Lesehore, Rosenkranz, Betrachtung stehen auf dem Programm. Um 5:55 Uhr folgt die Heilige Messe. Sr. Tarcisia spielt mit der Orgel. Die ausgebildete Musikerin ist eine geistliche Frau, die ihre Kraft ganz aus der Beziehung mit dem Herrn schöpft. Sie ist Barmherzige Schwester.
Wenn um 6:45 Uhr die ersten Mitarbeiter ins Vinzenzstüberl kommen, ist Sr. Tarcisia schon drei Stunden in Aktion. Ihr Leben sind die Klienten. Um 7 Uhr komme auch ich, ein Praktikant aus dem Priesterseminar. Mich gilt es zu betreuen, daneben alles für später herzurichten: Speisen, Getränke, Salate, Plasticksackerl und Handtücher. Alle zehn Minuten werden Lebensmittel und Kleider geliefert. Privatpersonen und das Rote Kreuz bringen sie als Spenden, die es zu verwalten gilt. Hosen, Pullover, Hemden, Socken, Kappen, Schuhe und Schlafsäcke, alles muss bis 13 Uhr im Kleiderlager fein säuberlich eingeräumt sein. Denn dann kommen die Klienten.
Es ist bereits 11 Uhr. Sr. Tarcisia blickt nach draußen vor die Tür. Die ersten Klienten sind schon da – zwei Stunden vor Beginn der Öffnungszeiten. Sie wollen die Ersten sein und die besten Kleider ergattern. Die finalen Vorbereitungen beginnen. Sr. Tarcisia geht nochmals in den Keller, befüllt die Waschmaschinen, organisiert den Deutschkurs, ruft den Arzt an, der die Klienten gratis betreut, begrüßt die Näherin, die ihnen die Kleider flickt – kostenlos, erinnert die Friseurin an ihren baldigen Einsatz, gibt die letzten Dienstanweisungen.
Endlich ist alles bereit für die Öffnung des Stüberls. Doch um 11:45 Uhr kommt nochmals das Rote Kreuz – eine gewaltige Lieferung: 15 Kisten Lebensmittel treffen ein. Sr. Tarcisia sortiert. Dann geht sie zum Mittagsgebet, isst. Um 12:20 Uhr ist sie schon wieder da, weitere Mitarbeiter treffen ein. Schließlich wird das Stüberl geöffnet. Hastig, aber diszipliniert, stürmen die Klienten ins Vinzenzstüberl. Es ist 13 Uhr. Sr. Tarcisia wird von den Klienten bedrängt, bei ihr läuft alles zusammen. Sie läuft hin und her, organisiert den Betrieb. Anliegen werden ihr vorgetragen, Leid ihr geklagt. Liebevoll, aber bestimmt kümmert sie sich um die Menschen.
Bis 17 Uhr findet sie keine Ruhe. Dann schließt das Stüberl. Aufräumen ist angesagt. Sr. Tarcisia hilft dem hilflosen Praktikanten. Um 17:30 Uhr verlassen die Mitarbeiter das Vinzentstüberl. Nur Sr. Tarcisia bleibt, bis 23:00 Uhr. Sie befüllt Waschmaschinen, organisiert schon für morgen, bereitet zahlreiche andere Projekte vor – alles für die Klienten.
Die Klienten, das sind die Obdachlosen und Bedürftigen der Stadt Linz. Unermüdlich ist Sr. Tarcisia für sie im Einsatz. Die Barmherzige Schwester ist ein vorbildhaftes Beispiel für gelebten Glauben im Alltag. Sie ist eine wahre Christin. Den Menschen zu helfen, das ist ihr tägliches Brot. Ihre Entschlossenheit, Christus in den anderen zu dienen, beeindruckt sehr. Die Klienten sind dankbar. Sie sind begeistert. Durch Sr. Tarcisia und ihr Vinzenzstüberl hat ihr gescheitertes Leben Hoffnung bekommen. „Endlich eine Schwester, die nicht betet, sondern handelt“, sagen sie. Doch Sr. Tarcisia verneint. „Alle meine Quellen entspringen in dir, mein guter Gott“, das ist ihr Lieblingslied. Ihre Kraft erhält sie aus ihrer betenden Beziehung zu Christus, betont sie.
Um 23:15 Uhr geht Sr. Tarcisia schlafen. Aber morgen um 4 Uhr wird sie wieder im Keller stehen – bei den Waschmaschinen.